Aschenputtel
Wir suchen Spieler und Techniker für unser neues Märchen. In der Sammlung der Gebrüder Grimm (1812) zählt Aschenputtel (bei Ludwig Bechstein 1845 Aschenbrödel) bis heute zu den bekanntesten Märchen. Es geht zum Teil auf Charles Perraults Cendrillon von 1697 zurück. Neufassungen oder die Verwendung einzelner Motive finden sich u. a. bei Puschkin, Novalis, Brentano, Eichendorff, E. T. A. Hoffmann, Hans Christian Andersen, Wilde, Bozena Nemcova, Robert Walser und Jewgeni Schwarz. Im 20. Jahrhundert begeisterte es zudem viele Filmemacher von Walt Disney (Cinderella, 1950) bis – na klar! - Václav Vorlí?ek (Drei Haselnüsse für Aschenbrödel, 1973). Aschenputtel ist kulturelles Weltkulturerbe. WAS: Der König des Märchenlandes schmeißt doch nicht hin, denn für den großen Hofball wird ein Wunder erwartet. Da wird auch der depressive Förster neugierig, der die falsche Frau mit ihren giftigen Töchtern geheiratet hat. Die drangsalieren seine eigene Tochter Aschenputtel. Sie muss die Stiefmutter und deren Töchter mit Ballkleidern ausstaffieren, denn so ein Ball ist Heiratsmarkt und Karrierekick. Doch Aschenputtels Feen-Tante verhilft der Zurückgesetzten zu Kleid und Kutsche und somit zum Balleintritt. Sie trifft den Prinzen, der trifft sie. Doch ihr Zauber ist zeitgebunden: sie muss abrupt nach Haus, verliert in der Eile einen Schuh. Der verzweifelte Prinz und sein verzweifelter Vater lassen in 7-Meilen-Tempo nach ihr suchen. Die Schwestern bestehen den Schuh-Tanz-Test nicht. Aschenputtel schon. Der Prinz kann heiraten. Die Harmonie ist im Märchenland erst einmal gerettet. WARUM: Theater erzählt Geschichten und Geschichte, es vermittelt Botschaften und Denkanstöße. Nach Schneewittchen möchten wir wieder ein Stück für die ganze Familie auf die Bühne bringen. Märchen eignen sich in besonderer Weise, die Jüngsten zum ersten Mal und die Eltern wieder fürs Theater zu begeistern. Eine gemeinsame Erfahrung, eine Begeisterung – auch nicht ganz unwichtig für uns -, die das Publikum von morgen schafft. Doch warum ausgerechnet Aschenputtel? Für Ernst Tegethoff war es der „Glückstraum sozial Entrechteter“, für Max Lüthi auch Antizipation künftiger Möglichkeiten, Entwurf einer Entwicklung. Und Eugen Drewermann deutete tiefenpsychologisch: „Aschenputtel – das ist in der Sprache des Märchens ein Dokument für die noch unentdeckte Würde des Menschen im Unscheinbaren. (…) Aschenputtel – das ist als Erstes das Märchen von dem Sieg (…) des wahren Seins über den falschen Schein, des inneren Wesens über die Verfälschungen des Äußeren.“ Jewgeni Schwarz stellt in seiner Theaterfassung außerdem die menschliche Gier in den Mittelpunkt. Wir wollen die alte Geschichte erzählen, aber mit heutigen Attributen und Zeichen, aufs Publikum gerichtet. Unsere Erfahrungen – Beobachtungen in unserer Zeit und in unserem Land – werden einfließen und hoffentlich auch Erwachsene ansprechen. Deshalb die Fassung von Jewgeni Schwarz (1896-1958), der ca. 30 Märchenstücke schrieb und deren Symbole, Motive und Figuren nutzte, um die politischen und ideologischen Verhältnisse seiner Zeit anzuprangern, was ihm mehr als ein Verbot einbrachte. Gier ist ein universelles Phänomen, sie taucht in allen Epochen und Kulturen auf. Schon Aristoteles fand, dass der, der den Gelderwerb zum Ziel seines Lebens mache, den Sinn des Lebens nicht verstanden habe. Im Mittelalter wurde Habgier von der Kirche zu einer der sieben Todsünden erklärt. Gier ist ein egozentrisches und unsoziales Gefühl. Gier motiviert Menschen, macht sie aber auch risikobereiter und damit rücksichtsloser. Besonders gierige Menschen übergehen Normen, Regeln und Grenzen, um ihre eigenen Ziele zu erreichen. Amerikanische Wissenschaftler fanden in einer Studie heraus, dass gierige Menschen beispielsweise im Straßenverkehr anderen öfter die Vorfahrt nehmen. Die Finanzkrise von 2007 oder der Diesel-Skandal zeigen, welche Nachteile die Gier Einzelner für eine Gesellschaft oder für den Anderen haben kann. Wenn gieriges, skrupelloses Verhalten von den Mächtigen vorgelebt wird, sinkt die Schwelle für Regelmissachtungen auch bei anderen. Deshalb findet es Gerhard Kruip, Professor für Sozialethik und christliche Anthropologie an der Universität Mainz, wichtig, „dass unsere Wirtschaft so reguliert ist, damit ein fairer Wettbewerb stattfinden kann. Dass sich Konkurrenz nicht über die Ausbeutung von Arbeitskräften und über Umweltverschmutzung entwickelt, sondern über Qualität." Gier hat aber auch persönliche Nachteile: "Gier wirkt distanzierend. Man verdirbt es sich mit anderen Menschen, vor allem wenn man auf deren Kosten gierig ist", so Kruip. Im deutschen Strafrecht spielt die Habgier übrigens eine zentrale Rolle. Ein Totschlag gilt als Mord, wenn der Täter aus Habgier gehandelt hat, beispielsweise um seine Schulden nicht zurückzahlen zu müssen. Doch es kommt selten vor, dass jemand seine Gier als Nachteil empfindet. Gier und ihr negatives Wesen zu verdeutlichen, braucht es klare Symbole und Metaphern. So klar, wie sie nur ein Märchen zu bieten hat. „Das Märchen von der Gier“ also: Eine Geschichte um die salonfähigste der sieben Todsünden, die das gesamte soziale Gewebe zerstört. Zu Grimms Zeiten, zu Schwarz’ Zeiten und heute. Nur Ellenbogen zählen. Mitleid und Liebe sind Schwäche. Das demonstrieren die Stiefmutter und ihre Töchter. Im Kontrast dazu die aufkeimende Liebe zwischen Aschenputtel und Prinz, die aktive Empathie von Fee und König, denen Machtgier fremd ist. Wir wollen etwas Märchenlicht in diese „Ellbogenzeit“ bringen. WIE: Das Spiel wird über Typen erfolgen, die keine Angst vor einer Zuspitzung der Situationen und Klischees haben. Die auch im Publikum immer wieder Verbündete suchen. Dementsprechend sollen Kostüm und Maske sie stützen, etwas von ihnen erzählen. Denn warum faszinieren Märchen wie das vom Aschenputtel auch nach Jahrhunderten? Sie arbeiten mit Archetypen, die zeitlos und auch in einer Stadt wie Dresden zu finden sind. Das bringen wir zum Ausdruck. Das Bühnenbild soll schnell verwandelbar sein, mit verblüffenden Lösungen. Märchenhafte Elemente (Schloss / Landschaft) erscheinen und verwandeln sich. Es muss für Open-Air-Auftritte geeignet sein. Wir denken hier insbesondere an Orte, die wir mit unserem Planwagen-Shakespeare für uns begeistern konnten, gezielt also (auch) Orte, an denen sonst wenig Kultur stattfindet. Unsere Stücke werden professionell angeleitet, sind aber auch geprägt von den Erfahrungen, Ideen und dem Engagement der einzelnen Spieler. Der Regisseur wird also auch Reflexionen der Spieler ins Stück integrieren. Das Stück wirkt dadurch authentischer und ehrlicher, der Zuschauer kann sich in den Rollen selbst entdecken. Bestandteil der Probenarbeit wird außerdem ein Theatertraining sein, in dem grundsätzliche handwerkliche Fertigkeiten vermittelt werden. Regie wird Ulrich Schwarz führen, für das Gesangstraining ist Sandra von Holn angefragt, mit der Spielbrett zuletzt bei Shakespeares Kaufmann zusammengearbeitet hat.
Projektbeginn | 01.01.2020 |
---|---|
Projektdauer | 1 Jahr |
Ort | Theaterhaus Rudi |
Wochenstunden | 4 bis 8 |
Anzahl der Freiwilligen | 20 |
Engagementbereich | Familie, Kinder, Jugend, Bildung, Gesellschaft, Kirche, Politik, Kultur, Musik, Brauchtum |
Kontaktaufnahme
Mit * markierte Felder sind Pflichtfelder und müssen ausgefüllt werden.